Heidelberger Splitter
Den "Mythos Heidelberg" ausgelotet
Heidelberg - Geschichte und Gestalt: ein Buch zum Jubiläum
Pünktlich zum Stadtjubiläum erschien jetzt der Band "Heidelberg - Geschichte und Gestalt". Als Herausgeber fungierte Prof. Elmar Mittler, der elf Jahre lang Direktor der Heidelberger Universitätsbibliothek war. Viele Jahre intensiver Vorarbeit waren nötig, um das umfangreiche Werk zu vollenden. 43 Beiträge von 36 Autoren auf knapp 600 Seiten, versehen mit einem Register und illustriert mit über 700 Abbildungen, verleihen dem Buch nicht nur physisch Gewicht. Auch der inhaltliche Bogen ist weit gespannt und läßt es zu einem Standardwerk über Heidelberg werden. Das Spektrum der Beiträge reicht von der Erdgeschichte bis zur modernen Siedlungsgeographie und behandelt alle historischen Epochen bis in die jüngste Zeit hinein. . Neben reinen Sachberichten finden sich persönliche Erinnerungen, wie beispielsweise im Aufsatz von Raymond Klibansky über das Heidelberger Geistesleben. Der 91jährige Philosoph lehrte hier bis zu seiner Vertreibung im Jahr 1933 und war mit Karl Jaspers und Friedrich Gundolf befreundet. Eine ganze Reihe Heidelberger Hochschullehrer ist unter den Autoren, unter anderem der Musikwissenschaftler Ludwig Finscher, der Kunsthistoriker Peter Anselm Riedl, der Geograph Werner Fricke oder der Geologe Volker Schweizer. Ihre Autorenschaft kennzeichnet so zugleich das oszillierende, spannungsreiche und dennoch fruchtbare Verhältnis zwischen Stadt und Universität, zwischen Geist und Politik.
Kapitel über die Kunstgeschichte Heidelbergs behandeln die Altstadt, das Schloß, die Kirchen und Synagogen sowie die Alte Brücke. Kern der Wissenschaftsgeschichte ist der Beitrag über die Universität von Eike Wolgast. Außerdem werden die Akademie der Wissenschaften und die Hochschule für Jüdische Studien vorgestellt. Dem wechselhaften Schicksal der Universitätsbibliothek widmet Elmar Mittler ein eigenes, reich bebildertes Kapitel und zeichnet noch einmal nach, wie die berühmte Heidelberger Bibliothek-die Bibliotheca Palatina" - im Dreißigjährigen Krieg als Beute in den Vatikan nach Rom transportiert wurde. Erst zur 600Jahrfeier der Universität im Jahr 1986 kehrte sie für die Dauer einer Ausstellung wieder an den Neckar zurück. Mit der heutigen Universitätsforschung befaßt sich der Artikel von Michael Schwarz und demonstriert die eindrucksvolle Qualität der wissenschaftlichen Erträge - von der Alzheimerforschung bis hin zu den Ergebnissen der Keilschriftexperten aus der Assyriologie.
Der Band präsentiert außerdem Beiträge über die Prinzhorn-Sammlung der Psychiatrischen Universitätsklinik oder über Heidelberg als Museumsstadt, als Stadt der Literatur, der Kunst und des Theaters kurz: nahezu alle Aspekte der wechselnden materiellen und geistigen Gestalt dieser Stadt. Goethes Verhältnis zu der Neckarstadt (einschließlich einer eigenhändigen Zeichnung des Dichterfürsten vom Schloß) wird ebenso beleuchtet wie die Aktion des Verpackungskünstlers Christo, der das Deutsch-Amerikanische Institut im Jahr 1969 verhüllte. Aufschlußreich auch die Chronik Heidelbergs von 1918-1995, aufgezeichnet vom Lokalchefredakteur der Rhein-Neckar-Zeitung Dieter Haas. Die zahlreichen zeitgenössischen Fotos machen deutlich, wie sehr das Stadtbild gerade in den letzten vierzig Jahren einem stetigen Wandel unterworfen war. "Es sind Tausende von Geschichten, die Heidelbergs Geschichte ausmachen", merkt Herausgeber Elmar Mittler in seinem Vorwort zu Recht an. Mit "Heidelberg - Geschichte und Gestalt" haben es die Autoren geschafft, die Unzahl von Facetten einzufangen und zu bündeln, in der sich die vibrierende Vielschichtigkeit dieser Stadt spiegelt. Das Buch ist daher nicht nur eine Hommage zum 800jährigen Jubiläum Heidelbergs, sondern der einmalige und zugleich gelungene Versuch, eine Summe der Kenntnisse über die Stadt zu ziehen und auf diese Weise den "Mythos Heidelberg" auszuloten.
Peter Saueressig
Heidelberg - Geschichte und Gestalt. Herausgegeben von Elmar Mittler. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, Programm "Heidelberger Verlagsanstalt" 1996. VI1, 579 Seiten, 781 Abbildungen, 4 Falttafeln. Leinen mit Schutzumschlag im Schuber. 168 Mark.
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