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   ALUMNI REVUE - JULI 1997
       

    
    
 

Heidelberger Splitter


"Wir wollen nicht anklagen"

Erstes Dokumentations- und Kulturzentrum der Sinti und Roma in Heidelberg eröffnet

Lange hat es gedauert, bis die Ermordung von einer halben Million Sinti und Roma durch die Nazis als Völkermord anerkannt wurde. Erst 1982, nachdem einige Überlebende in Dachau in Hungerstreik getreten waren, holte die Bundesregierung das Versäumte nach. Und noch einmal fünfzehn Jahre mußten verstreichen, bis das erste Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma eröffnet werden konnte - in Heidelbergs Altstadt, nahe der Bergbahn.

Beim Festakt im März 1997 erinnerte Bundespräsident Roman Herzog nicht nur an die unmenschliche Verfolgung: "Ich hoffe, daß das Zentrum ein Ort der Öffnung, der Aufklärung wird und daß es hilft, die Zurückhaltung vor dem anderen zu nehmen." Denn die Diskriminierung dieser Minderheit ist heute keineswegs Vergangenheit. "Wir wollen nicht anklagen", sagte der Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose: "Dies soll ein Ort der historischen Erinnerung sein, der das Vermächtnis der Opfer bewahrt und zugleich eine Brücke zur Gegenwart schlägt."

An der Eröffnung nahm viel politische und kulturelle Prominenz teil, darunter auch der Geigenvirtuose Yehudi Menuhin, dessen Familie sich nachdrücklich für die Einrichtung des Kulturzentrums eingesetzt hatte. Es beherbergt neben dem Zentralrat der Sinti und Roma, Tagungsräumen und Vortragssaal mit Bühne auch eine große Dauerausstellung, die informiert und traurig macht. Bewußt ist dieses Anliegen umgesetzt: Die Schautafeln haben zwei Ebenen. Der Vordergrund mit nackten Zahlen und Gesetzen dokumentiert die Täterebene, der Hintergrund mit biographischen Details die Opferebene. So werden Leben und Verfolgung einer Minderheit beschrieben, für die Deutschland seit 600 Jahren Heimat ist. Zum Zeitpunkt der Machtübernahme Hitlers arbeiteten die Sinti und Roma als Arbeiter, Angestellte, Beamte oder Handwerker, sie waren Soldaten in der kaiserlichen Armee gewesen, sie sprachen Deutsch neben ihrer Muttersprache, sie waren zum größten teil seßhaft.

Dieses selbstverständliche Leben als deutsche Staatbürger endete nicht abrupt. Denn die nationalsozialistischen Rassenbiologen hatten Schwierigkeiten, "Zigeuner" äußerlich zu erkennen. Auch haben die Sinti und Roma keine eigene Religion wie die Juden, was den Nazis eine Erfassung erleichtert hätte. Viele der Unglücklichen fielen daher erst 1943/44 auf. Einige aber waren schon 1934 in erste Lager deportiert worden.

Schritt für Schritt wurden die Sinti und Roma, die sich selbst nie "Zigeuner" genannt haben, in ihrem freien Leben eingeschränkt. Seit 1934 gab es Versuche, sie aus Berufsorganisationen auszuschließen, bald durften sie nur in bestimmten Geschäften zu bestimmten Zeiten einkaufen. 1936 wurde in einem Stadtteil der Olympiastadt Berlin ein Konzentrationslager eingerichtet, das Wahlverbot erging. Ab 1937 schloß man sie aus der Wehrmacht aus, die Kinder durften keine öffentlichen Schulen mehr besuchen, Kranke wurden von Krankenhäusern abgewiesen. All das begleitete die nationalsozialistische Presse mit einer Hetzkampagne, die die "endgültige Lösung der Zigeunerfrage" vorbereiten sollte, wie sie Himmler Ende 1938 forderte. Dazu gehörte die totale Erfassung durch die Rassenhygienische Forschungsstelle in Berlin und die Stigmatisierung durch gelbe "Rasseausweise" mit aufgestempeltem schwarzen "Z". Im Mai 1940 rollten die ersten Züge mit 2800 Sinti und Roma ins besetzte Polen. Die Deportation ganzer Familien galt als Probelauf für die geplante umfassende Verschleppung und Ermordung.

Der erste Teil der Ausstellung endet im Erdgeschoß mit einer großen Landkarte, die graphisch das Ausmaß des Verbrechens an der Volksgruppe der Sinti und Roma im besetzten Europa zeigt. Der zweite Teil, der Völkermord mit seinen erschreckenden Details wie dem Programm "Vernichtung durch Arbeit", den medizinischen Experimenten, dem Schicksal ermordeter Kinder und Frauen, den Massenerschießungen, ist im ersten Stockwerk dokumentiert. Beklemmung erzeugen die Fotos auf einer Stellwand, die aus einem frohen Familienalbum stammen könnten. Doch: Nur eine einzige der abgebildeten Personen hat Auschwitz überlebt.

Im zweiten Obergeschoß unter dem Dach des Altbaus werden die Besucher über einen Steg geführt, der von Bildern aus Auschwitz umgeben ist und den 22 000 Namen jener Sinti und Roma, die dorthin verschleppt worden waren. Daß die Namen bekannt sind, ist Häftlingen zu verdanken, die die Listen mit den penibel registrierten Todeskandidaten vergraben konnten.

So beklemmend die Ausstellung ist, sie soll keine Belastung für die Gegenwart sein, wie Romani Rose betont. Deshalb will das Zentrum durch Veranstaltungen auch den Alltag der 70.000 Sinti und Roma vermitteln, die heute in Deutschland leben, und so Vorurteile abbauen. Wie sagte Roman Herzog bei der Eröffnung? "Versöhnung und Friedensstiftung beginnen immer mit einem Wandel falscher Einstellungen."

Sonja Striegl

 


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Heidelberg, den 23. Mai 2003