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   ALUMNI REVUE - DEZEMBER 1996
       

    
    
 

Alumni Spotlight


Ryogi Okochi, Kyoto (Japan)

Mit Nietzsche zwischen Ost und West

Ryogi Okochi lehnt sich über die Reling des Schiffs, blickt sinnierend auf den Fluß, in dem sich die letzten Strahlen der Augustsonne spiegeln. "Heidelberg ist meine auserwählte Heimat", gibt der 66jährige unumwunden zu verstehen. Und das seit fast vierzig Jahren: 1959 kam der junge Germanist und Philosoph aus Japan mit einem DAAD-Stipendium für zwei Jahre an den Neckar. Zu seinen Lehrern gehörten Arthur Henkel und Karl Löwith. Als Humboldt-Stipendiat kehrte Okochi 1969 nach Heidelberg zurück, mitten in die "heiße Phase" der Studentenunruhen. "Eine spannende Zeit", meint er und skandiert scherzhaft einige damals gängige Parolen. Im Anschluß an seine Rückkehr nach Japan wurde er Professor für Deutsch und Germanistik an der Universität Kobe und lebte zwei Jahre als Gastprofessor in Regensburg - mit seiner Frau und den zwei Töchtern, die dort auf die deutsche Schule gingen. Seit 1989 lehrt Ryogi Okochi an der Otani-Universität in Kyoto. Immer wieder jedoch zog es ihn nach Heidelberg. Hier hat er gute Freunde, wie zum Beispiel Gert Schneider. Aus dem Betreuungsverhältnis wurde schnell eine herzliche Freundschaft, die beide bis heute verbindet. Ein weiterer wichtiger Grund, nach Heidelberg zu kommen, hängt mit seiner Arbeit zusammen: "Hier kann ich viel besser deutsch denken und schreiben." Hier schrieb Ryogi Okochi auch sein Buch "Wie man wird, was man ist", das seine Forschertätigkeit kompakt zusammenfaßt: die Philosophie Friedrich Nietzsches aus östlicher Sicht. Warum eigentlich Nietzsche? Okochi nennt unter anderem eine gewisse Verwandschaft im Denken und Fühlen des asiatischen Menschen mit dem Werk des deutschen Philosophen. Nicht was, sondern wie Nietzsche denkt, das "Dionysische" in sei nem Schaffen - das erscheint den Japanern anziehend. Zudem tauchen durchaus Parallelen zum Buddhismus auf. Nietzsches Wirken war aus eine Kraft gespeist, die die abendländisch Begrenztheit sprengte. Die Dynamik seines Denkens kann beispielgebend für den Menschen der Gegenwart sein, ob er nun in Tokyo oder in Hamburg lebt. Eine Brücke zwischen Ost und .West möchte Ryogi Okochi mit seiner Arbeit schlagen. Nietzsches Modernitätskritik etwa, so der 66jährige, pafft exakt auf das Japan von heute. Kritiklos hat der Inselstaat alles Westliche in sich aufgesogen, ohne es wirklich zu verarbeiten. Traditionelle erstarrte ö Kultur prallt auf eine grelle Hi-TechWelt in den Straßenschluchten der japanischen Metropolen. "Eine tragische Situation, deren wir uns gar nicht bewußt sind." Okochi möchte seinen Landsleuten Nietzsche näherbringen, damit sie sich selbst kennenlernen. Zugleich aber will er den Europäern östliche Denkweisen vermitteln. Das Gemeinsame und das Trennende zu benennen ist oft der Anfang zum gegenseitigen Verstehen. Der Sprache kommt dabei eine wichtige Funktion zu. Der Germanistikprofessor ärgert sich regelrecht, wenn ihn Deutsche auf der Straße auf englisch ansprechen. Parallelen dazu stellt er auch bei jungen Japanern fest. Daß von den 60 000 japanischen Auslandsstudenten nur 1200 den Weg in das Land Nietzsches finden, 45 000 aber in den USA studieren, erstaunt ihn nicht. Denn seit 1945, so Okochi, ist Japan von den USA kulturell dominiert, orientiert sich vor allem die japanische Presse an der Supermacht am anderen Ende des Pazifiks. "Diese Tendenz kann sich aber ändern", hofft der Alumnus aus Kyoto. Er setzt sich mit Nachdruck für einen intensiven Studentenaustausch zwischen Deutschland und Japan ein. Vor hundert Jahren noch, gibt er zu bedenken, war Deutschland das Mekka für japanische Wissenschaftler. "Das kann wieder so werden", lächelt er. "Man muß nur etwas dafür tun." Mit seiner Arbeit als Lehrer und Forscher, aber auch im alltäglichen Leben leistet der Germanist aus Überzeugung einen wichtigen Beitrag dazu.

Die Sonne ist untergegangen, und das Schiff zieht ruhig seine Bahn. Ryogi Okochi genießt den Blick auf das beleuchtete Schloß und die Altstadt - auf seine zweite, die "auserwählte" Heimat.

Peter Saueressig

 


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Heidelberg, den 23. Mai 2003