Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Einblick

Bundeskanzler a.D. Dr. Helmut Kohl hielt den Festvortrag am "Tag der Freunde"

"Zu Hause in Europa"

 

"Herzlich willkommen in Ihrer Alma Mater!" Mit diesen Worten begrüßte im vergangenen Sommer Prof. Dr. Peter Hommelhoff, damals noch Rektor der Universität, den wohl berühmtesten Heidelberger Alumnus: Dr. Helmut Kohl, einst Student in der Stadt am Neckar, später deutscher Bundeskanzler - und seit 1960 Mitglied der "Freunde der Universität". Und so durfte Bernhard Schreier, Vorstandsvorsitzender der Heidelberger Druckmaschinen AG und Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde Universität Heidelberg e.V., den prominenten Gast zu Recht als "unseren langjährigen Freund der Universität Heidelberg" vorstellen. Heidelberg und die Universität seien für ihn "ein Stück Heimat", erwiderte Kohl, er sei sehr gerne gekommen.

 

Rund 1 700 Zuhörer drängten sich in die Neue Universität, um den Elder Statesman live zu erleben. Über die "Zukunft Europas" sollte er sprechen - so stand es auf der Einladung zum "Tag der Freunde". Sein Festvortrag am 6. Juli war die Hauptattraktion des zweitägigen Alumni-Treffens. "Bereits seit vielen Jahren lädt die Gesellschaft der Freunde zu einer Festveranstaltung ein, in deren Mittelpunkt der Vortrag einer herausragenden Persönlichkeit steht", sagte Schreier, als er die Veranstaltung eröffnete. Und fügte hinzu: "Noch nie war der Saal so voll wie heute."

 

Alumnus der Ruperto Carola

Bevor der Festredner das Wort ergriff, würdigte Rektor Hommelhoff dessen besondere Verbindung zur Universität Heidelberg. Ein Jahr nach Studienbeginn in Frankfurt wechselte der junge Student Helmut Kohl nach Heidelberg, wo er 1951 sein Studium der Geschichte und Staatswissenschaften fortsetzte. Nach dem Examen trat er 1956 eine Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alfred-Weber-Institut an; 1958 promovierte er bei Professor Dr. Walther Peter Fuchs.

 

Alfred-Weber-Institut - das Institut, an dem in Heidelberg die Volkswirte ausgebildet werden: Hommelhoff hielt kurz inne, als er den Namen dieses Instituts aussprach. Wohl jeder im Saal wusste, dass der Rektor vor zwei Jahren versucht hatte, das Alfred-Weber-Institut im Zuge eines Fächertausches mit der Universität Mannheim zu schließen, dann aber auf unerwartet heftige Widerstände gestoßen war. "Wir haben das Institut nicht geschlossen", bemerkte er trocken - und fügte, an Kohl gewandt, hinzu: "Wenn ich gewusst hätte, dass Sie dort Assistent waren, hätte ich es nie versucht." Lachen und großer Applaus. Keine Frage: Für einen Augenblick hatte der Rektor dem Staatsmann die Show gestohlen.

 

Platz in den Geschichtsbüchern

Dr. Helmut Kohl war von 1982 bis 1998 deutscher Bundeskanzler. Was werden in 30 bis 50 Jahren die Geschichtsbücher über ihn schreiben? "Nach meiner festen Überzeugung werden dort drei Dinge stehen", meinte Rektor Hommelhoff, "nämlich die deutsche Wiedervereinigung, die Sie ganz wesentlich herbeigeführt haben, der Ausbau der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union mit der markanten Einführung des Euro - und vor allem die vertieften Beziehungen zu Frankreich." Diese drei Kernthemen waren es denn auch, die Kohl in seiner Rede und der darauf folgenden Diskussion in vielerlei Facetten ausführte. Die Zuhörer erlebten einen Politiker, der nicht nur zu aktuellen Fragen Stellung nahm, sondern auch - aus der Distanz der Jahre - offen über strategische Überlegungen und historische Entscheidungen berichtete. Kohl ließ das Publikum an seinen Erfolgen, aber auch gelegentlichen Zweifeln in 16 Jahren Regierungszeit teilhaben.

 

Beispiel Euro-Einführung: "Für mich war das Versprechen, die neue Währung werde genau so stabil sein wie die D-Mark, sehr wichtig", erzählte er. "Wir haben damals gesagt - und ich gebe zu, ich habe selbst manchmal Zweifel gehabt -, dass der Euro so stark sein wird wie der amerikanische Dollar. Da dachten wir schon, den Mund ein bisschen voll genommen zu haben." Und süffisant fügte der Redner hinzu: "Wenn ich jetzt den Wirtschaftsteil aufschlage, lese ich mit großer Genugtuung, dass einige deutschen Unternehmer sich darüber beklagen, ihnen ginge es im Export besser, wenn wir keinen so starken Euro hätten." In zehn Jahren, so prognostizierte der Altkanzler, werde auch in der Schweiz mit dem Euro bezahlt.

 

Das "Wunder" der europäischen Einigung

In seiner Rede spannte Kohl den Bogen von der Nachkriegszeit über die Wiedervereinigung bis hin zu aktuellen Problemen und den Fragen nach der Zukunft Europas. "Für mich kommt es einem Wunder gleich, dass aus der einstigen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit anfänglich nur sechs Mitgliedern heute die Union der 27 geworden ist", bilanzierte er. In diesem Zusammenhang hob Kohl weniger auf die deutsche als auf die europäische Wiedervereinigung ab: "Allein zehn der zwölf Staaten, die seit dem 1. Mai 2004 der Union beigetreten sind, lagen noch vor weniger als zwei Jahrzehnten im Herrschaftsbereich des sowjetischen Imperiums."

 

Und wie geht es mit Europa weiter? "Zum jetzigen Zeitpunkt - und der mag noch 50 Jahre dauern - sehe ich keine wirkliche Erweiterung", sagte Kohl. Einzig die Beitrittskandidaten aus dem früheren Jugoslawien, Kroatien und Mazedonien, nahm er davon aus. Darüber hinaus werde es vorläufig keine Neuaufnahmen geben, auch die Türkei werde "in absehbarer Zeit" bei der Frage der Bürgerrechte, vor allem der Religionsfreiheit, die erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllen. "Es gibt keine Mehrheit in Europa für den Beitritt der Türkei. Wir sollten daher eine Formel finden, wie sie auch Frau Merkel aufgenommen hat: dass wir unter der Schwelle des Beitritts zu einer möglichst engen Zusammenarbeit kommen." Im Respekt vor dem anderen leben - darin lag einer der Leitgedanken in Kohls Rede. "Gerade im größer gewordenen Europa müssen wir begreifen, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Land groß oder klein ist." Ein entscheidender Punkt der europäischen Entwicklung liegt darin, "dass man den anderen respektiert wie er ist", betonte Kohl. Und fügte hinzu: "Wenn es 27 Mitglieder sind, dann sind das eben auch 27 unterschiedliche Perspektiven." Angesprochen auf aktuelle Schwierigkeiten, vor allem mit der Europapolitik der polnischen Regierung, riet der Redner, ganz staatsmännisch, zu mehr Gelassenheit: "Regierungen kommen und gehen." Keiner im Saal ahnte, wie schnell ihm die Entwicklung in Polen recht geben würde: Bei einer vorgezogenen Parlamentswahl erlitt der bisherige Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski inzwischen eine herbe Niederlage - und die neue Regierung setzt wieder auf eine Integration Polens in die Europäische Union. Bei allen Problemen bestehe doch keinesfalls ein Grund zur Resignation - so das Fazit des Altkanzlers. An das überwiegend junge Publikum richtete er den Appell, sich politisch zu engagieren. "Es lohnt sich, für dieses eigene Land und dieses Europa zu kämpfen und einzutreten. Denkt darüber nach, es ist eure Sache. Ich bin 75, meine Zeit ist da vorbei. Aber mein Rat an euch ist: Überlasst das nicht anderen!" Einen Hauch von Romantik vermittelte der früherer Staatschef und einstige Student der Stadt am Neckar, als er seine Zuhörer dazu ermunterte, Europa zu bereisen - etwa die Spanische Treppe in Rom zu besuchen oder auf die Karlsbrücke nach Prag zu gehen. "Die Prager Verwaltung hat die Innenstadt für den Verkehr gesperrt, die Brücke ist umlagert von jungen Leuten, die Instrumente spielen, singen, tanzen, viele Sprachen sprechen. Und wenn Sie genau hinhören und Ihren Sinn für das Wesentliche bewahrt haben, können Sie das Plätschern der Moldau hören. Dann klingen Ihnen Friedrich Smetana und die Moldau im Ohr. Das ist Europa - Sie sind zu Hause in Europa."

 

Christian Deutsch

 

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Fragen oder Anregungen zu diesen Seiten: Philippe Bayer
Stand: 6. Januar 2008
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