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   ALUMNI REVUE - SEPTEMBER 2001
       

    
    
 

Alumni persönlich


Leben im Wandern....

Als sie kam, die Gelegenheit, war sie in meinem Traum schon da: Ich träumte davon, nach Europa zu gehen, um die europäische Literatur in ihrer Heimat, in einer ihren Hochburgen, zu studieren - und in einer ihrer Sprachen. Deutschland war für mich eine solche Hochburg.

Deutsch hatte ich bereits in Teheran gelernt - natürlich nicht perfekt, nur für den Anfang genug. Aber auch dieses Deutsch hatte ich beinahe vergessen, denn die Schule, eine in der Zeit Reza Schahs, des ersten Pahlevi, mit Hilfe von Deutschen gegründet, hatte ich wegen politischer Aktivitäten in Mossadeghs Regierungszeit verlassen müssen. Dafür hatte ich jedoch eine "Telefon-Technische Schule" besucht, nach deren Abschluss ich im Telefonamt arbeiten konnte, wobei ich auch Gelegenheit hatte, die Höhere Schule, die etwa dem deutschen Gymnasium gleicht, zu besuchen und mich auf das Abitur, Fachrichtung Literatur, vorzubereiten.

Nachdem ich eine besondere Prüfung bestanden hatte, konnte ich endlich zu einer technischen Ausbildung nach Deutschland reisen. Die Gelegenheit war da, ich durfte an der Ausbildung teilnehmen und daneben auch meinen Plänen nachgehen, die deutsche Sprache noch besser zu lernen, um dann auch die deutsche Literatur zu studieren.

Ich stürzte mich auf die Literatur, las das "Urteil" von Kafka und war sehr begeistert davon, d.h. von dem Wenigen, das ich verstanden hatte, so dass ich jene Nacht nicht mehr einschlief. Mit Hilfe eines jungen deutschen Freundes, eines Germanistikstudenten, kaufte ich viele Bücher, die ich heute noch brauche: Benn, Rilke, Thomas Mann, Goethe... Eines weiß ich heute: dass ich damals schon begriffen hatte, was Verstehen heißt und wie man es betrachten soll: Als ein organisches Wesen, das mit der Zeit wächst und erst so allmählich zur Vollkommenheit gelangt - oder auch nie gelangt.

Das begeisterte Lesen habe ich auch nach dem Deutschlandaufenthalt während meiner Arbeit im Ausland, in Teheran und im Südiran, weitergeführt. Das Studium an der Universität Teheran wurde zum Sprungbrett für alles Weitere: das Germanistikstudium in Deutschland zum Sommersemester 1963. Und wieder begriff ich: nicht das Studium und die spätere Lehrtätigkeit im Iran waren das "Geschäft", sondern das Verstehen selbst als etwas viel Lebendigeres, was mit dem Leben zu tun hat, so wie das Studentenleben...

Eine Stadt wie Heidelberg ist in diesem Sinne nicht weniger ergiebig mit ihren Veranstaltungen und in der ganzen Stadt verteilten Möglichkeiten zu lockeren Zusammenhängen und Stegreifgesprächen als mit ihren Vorträgen und Seminaren. Das damalige Collegium Academicum, in den Räumen, wo sich heute auch das Akademische Auslandsamt befindet, hat mit seinen Arbeitsgemeinschaften und Freundeskreisen und überhaupt mit der Art des Zusammenlebens zu meiner geistigen Entwicklung beigetragen.

Ein Sonntagsspaziergang auf dem Philosophenweg, bei dem man ganz unvorbereitet auf dies und jenes zu sprechen kam, oder ein zufälliges und zielloses Gespräch mit dem Lehrer, zum Beispiel auf dem Germanistenabend, haben mir manchmal Fragen gelöst, die ich ganze Semester mit mir durch die Hörsäle der Universität geschleppt hatte. Die Fragen und Antworten haben mir manchmal den Vorrat für das ganze Leben - das geistige Leben - mit auf die Reise gegeben. Tatsächlich stoße ich heute noch immer wieder auf eine Idee, die in einer Antwort von damals steckte und deren Wahrheit mir nach Jahren erst jetzt aufgeht.

Mein Leben - dieses Vagabundenleben - oder besser: Zigeunerleben mit dem dauernden Ziehen von einer Universität zur anderen, ein Leben ohne Dauer, immer hin und her, zwischen Teheran und Schiras, zwischen Schiras und Buschehr am Persischen Golf, wo ich jetzt auch noch manches Semester unterrichtet habe, und dann wieder in Deutschland - dieses Leben im Wandern, ist es selbst nicht ein Schattenbild, oder Spiegelbild jenes Lebens, des studentischen von der Küche in die Bude und von dort ins Essighaus in der Plöck? Den Reisevorrat mit den vielen Fragen und Antworten und mit den Fragen ohne Antwort, habe ich jedenfalls noch im Rucksack - er ist noch nicht zu Ende, es lässt sich davon noch einige Zeit satt werden....

Hassam Nekuruh, Teheran, 28. Februar 2001

 


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Heidelberg, den 12. Februar 2003