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Heidelberger Splitter
Junge Kultur in einer alten Stadt
Kulturhaus Karlstorbahnhof wird ein Jahr alt
In diesen Tagen feierte es seinen ersten Geburtstag: das jüngste Produkt der Heidelberger Kulturszene, der "Karlstorbahnhof". Das Kulturzentrum, von Insidern auch gerne "KaBa" genannt, wurde im Dezember 1995 eröffnet. Am Rande der Altstadt, hinter dem Karlstor in Richtung Schlierbach gelegen, ist es zum Mekka der Musikhungrigen und Theatersüchtigen geworden, deren Geschmack jenseits von Oper und Ballett liegt. Auf vier Ebenen finden täglich bis zu fünf Veranstaltungen statt - ein Hinweis darauf, wie notwendig dieses neue Kulturhaus war. Der Heidelberger Gemeinderat hatte sich nach langen Debatten dafür entschieden, den ehemaligen Bahnhof umzubauen. Beteiligt an der Finanzierung waren die Stadt Heidelberg und das Land Baden-Württemberg. Schon kurze Zeit nach der Eröffnung zeigte sich: Der "KaBa" ist ein erfrischendes Elixier für die hiesige Kulturlandschaft, das sich in der Region zu einer festen Größe etabliert hat. Unter dem Bahnhofsdach arbeiten verschiedene kulturelle Vereine als Gesellschafter einer GmbH zusammen. Einige stammen aus dem Bereich studentischer Kulturarbeit, so etwa das "Kulturcafe" oder der Theaterverein. Sie sind für das breit gefächerte, aber dennoch anspruchsvolle Angebot alternativer Kultur verantwortlich. Die Koordination und Programmgestaltung liegt bei Johannes Rühl, der zuvor ein großes Kulturzentrum in Norddeutschland leitete. Im Rahmen des Schwerpunkts "Weltmusik" holt der gelernte Ethnologe international bekannte Größen wie Rabih Abou-Khalil oder die "Tanzenden Derwische" aus Istanbul nach Heidelberg. Auch renommierte Kabarettisten und Kleinkünstler lassen ihren Wortwitz gerne im Bahnhof aufblitzen. Das studentisch geprägte "Kulturcafe" hingegen organisiert Konzerte mit junger Rockmusik für Leute zwischen 15 und 25 - "alles, was schnell und laut ist", wie Johannes Rühl anmerkt. Dafür ist der große Saal, in den über 500 Besucher passen, geradezu ideal. Theater- und Tanzfreunde kommen direkt unter dem Dach im "TiKK" auf ihre Kosten: eine kleine, aber feine Off-Theater-Bühne mit hundert Zuschauerplätzen, wie man sie sonst eher in Berlin antrifft. Die unzähligen studentischen und freien Theatergruppen haben hier eine geeignete Spielstätte gefunden, die den seit Jahren völlig überbuchten Romanischen Keller spürbar entlastet. Und das "Eine-Welt-Zentrum", zuständig für Soziokultur und Vertreter von 29 Mitgliedsgruppen, wartet mit einer Fülle von Veranstaltungen zu Themen wie Dritte Welt, Friedenspolitik, Ökologie oder zu frauenpolitischen Fragen auf. Auch eine Bibliothek ist im Aufbau. Das Kino im Karlstorbahn-hof, ein echtes cineastisches Kleinkino auf hohem Niveau. So gehen zum Beispiel in Kooperation mit dem Institut Francais die "Filmtage des Mittelmeeres" über die Leinwand, oder es gibt Filmreihen mit Länderschwerpunkten, etwa Iran oder Indien. In diesem Jahr schlug auch das internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg seine Zelte hier auf. Für diese Programmvielfalt ist das Medienforum "Kommunales Kino" verantwortlich, das auch kulturpädagogisch arbeitet und mit Laien Filme dreht. Das gläserne Restaurant im Bahnhof schließlich lädt mit einem wunderschönen Blick auf Neckar und Odenwald sowie einer exzellenten Küche zum Verweilen ein - wenn der letzte Zug durch und die letzte Veranstaltung zu Ende ist, denn Feierabend ist hier erst um drei Uhr nachts. Damit ist der Karlstorbahnhof auch für Nachtschwärmer ein echter Geheimtip. Nach dem guten ersten Jahr blickt Koordinator Johannes Rühl optimistisch in die Zukunft: "Wir sind durch die Förderung von Stadt und Land nicht an einen breiten Publikumsgeschmack gebunden und können daher auch ausgefallene Formen von Kultur bieten." Er hofft, das Haus am Rande der Stadt noch stärker ins Bewußtsein der Heidelberger zu integrieren. Vor allem die lebendige und qualitativ ausgezeichnete Musikszene der Neckarstadt soll auf den Bahnhof "abfahren". Eins ist indes schon jetzt sicher: Mit dem Kulturzentrum Karlstorbahnhof ist die Kultur in Heidelberg um ein Haus und viele Impulse reicher geworden.
Peter Saueressig
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