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   ALUMNI REVUE - DEZEMBER 1998
       

    
    
 

Titel


Sicherheit

Von Maßstäben und Werten

"Die Rente ist sicher" lautete nicht von ungefähr ein Leispruch einer der dienstältesten deutschen Minister. Denn kaum ein ander Begriff scheint in der deutschen Mentalität so tief verwurzelt zu sein wie das Wort "Sicherheit". Es läßt sich im Deutschen, im Gegensatz zu anderen Sprachen, in den unterschiedlichsten Zusammenhängen gebrauchen: Zwischen der Sicherheitsnadel und dem kollektiven Sicherheitssystem ist alles möglich. Ganze Industriezweige leben von dem Bedürfnis, sich gegen Mißgeschicke jeglicher Art abzusichern. Doch auch Forschung und Wissenschaft streben nach Sicherheit, im Sinne von Gewißheit und sicheren Resultaten. Das Denken in klar strukturierten Kategorien, das "Sich-Sicher sein" über angewandte Methoden stellen wichtige Faktoren wissenschaftlicher Praxis dar. An der Universität spiegeln sich jedoch auch ganz andere Facetten des Wortes "Sicherheit" wider, von statistisch-mathematischen Modellen zur Berechnung von Sicherheits-Wahrscheinlichkeiten über neue psychologische Therapieansätze zur Selbstsicherheit einzelner Menschen bis hin zur globalen Konfliktforschung. Und schließlich brauchen auch Professoren sichere Arbeitsplätze - vor allem dann, wenn sie mit Gefahrstoffen hantieren.

Statistik: mit hoher Wahrscheinlichkeit

"Wenn man von Sicherheit spricht, weiß man, daß es eigentlich keine absolute Sicherheit gibt", erklärt Prof. Rainer Dahlhaus, Ordinarius für Angewandte Mathematik. "Die Aufgabe der mathematischen Statistik ist es, die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Ereignisse zu berechnen und so das Ausmaß an Sicherheit zu quantifizieren." Zur Berechnung dieser Wahrscheinlichkeiten entwerfen die Statistiker Modelle, die sich auf die Praxis anwenden lassen. "Ein gutes Beispiel für eine solche Modellierung lernen unsere Studierenden im dritten Semester: die Berechnung der Fehlerwahrscheinlichkeiten bei medizinischen Tests", führt der Mathematikprofessor aus. Dort bestimmt die Reaktion auf die Testsubstanz, ob eine Person erkrankt ist oder nicht. Zwei Fehler sind hier möglich: Entweder fällt der Test positiv aus, und die Person ist nicht erkrankt, oder genau umgekehrt, das heißt die Person ist erkrankt, der Test aber negativ ausgefallen. "Aus den Häufigkeiten dieser Fehler kann man dann auch die Wahrscheinlichkeit berechnen, nach der eine positiv getestete Person wirklich krank ist", so Rainer Dahlhaus. Bei der Erkennung von Krankheiten wie Aids ist die Sicherheit eines solchen Tests von dramatischer Bedeutung.

Auch bei Studien zu neuen Medikamenten werden die Fähigkeiten des Statistikers benötigt. "Hier können wir mit Methoden der statistischen Versuchsplanung dazu beitragen, die Sicherheit zu erhöhen und Entwicklungskosten zu senken."

Modelle nach Maß

In der universitären Forschung arbeitet Prof. Dahlhaus zur Zeit zusammen mit dem Neurophysiologen Prof. Jürgen Sandkühler an einem Projekt zur Identifikation von Neuronennetzen. Eine Studie zur Schmerzforschung, gemeinsam mit Medizinern und Psychologen an der Medizinischen Klinik, ist in Vorbereitung. Sein Hauptforschungsgebiet ist die sogenannte Zeitreihenanalyse. "Da werden unter anderem Prognose-Verfahren entwickelt, die in verschiedenen Bereichen wie bei Ozonkonzentrationen, Aktienkursen oder Arbeitslosenzahlen angewendet werden können." Prognosen stehen allerorten hoch im Kurs, und der Forscher wirkte vor einigen Jahren auch an einer Studie zur Prognose des Gasverbrauchs in Baden-Württemberg mit. Die Erwartungshaltung der Nicht-Statistiker empfindet er zuweilen als belastend: "Manche denken, je besser der Statistiken desto genauer fällt die Prognose aus." Er sieht seine Zunft auch eher als Schneider denn als Schamanen: "Wir Statistiker entwerfen Modelle nach Maß oder schneidern bereits bekannte Modelle auf das jeweilige Problem zu."

Rainer Dahlhaus wünscht sich manchmal etwas mehr Realismus von seinen Zeitgenossen. Die Entwicklung bei der Wettervorhersage läßt ihn jedoch hoffen: "Neuerdings wird die Regen-Wahrscheinlichkeit angegeben. Das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung."

Globale Sicherheit: Konflikte im Barometer

In eine einzige Richtung bewegt sich das Modell, das der Politikwissenschaftler Prof. Frank Pfetsch entwickelt hat: ein Kreislauf der Entwicklung von Konflikten. Krieg und Frieden, Krise und Waffenstillstand stehen sich in diesem Kreis als Antipoden gegenüber. "Durch gezielte Maßnahmen kann der Kreislauf unterbrochen werden, bevor es zur Eskalation kommt", erläutert der Konfliktforscher, der sich ganz bewußt nicht als "Friedensforscher" bezeichnet. "Konflikte sind per se ja nicht schlecht, sie gehören zum Leben dazu. Entscheidend ist jedoch die Frage: Wie werden sie bewältigt?"

Genau dieser Frage geht das Institut für Internationale Konfliktforschung nach, das am Institut für Politische Wissenschaft angesiedelt ist. Es entstand in den achtziger Jahren als Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das Ergebnis der Forschungsarbeit: fünf Bände, die alle weltweiten Auseinandersetzungen seit 1945 dokumentieren und einordnen. Als Grundlage dafür entwickelte Frank Pfetsch zusammen mit Peter Billing und Christoph Rohloff die Datenbank KOSIMO, die größte und umfassendste ihrer Art im deutschen Sprachraum. Die über 660 politischen Konflikte der letzten fünfzig Jahre sind in diesem "KOnfliktSImulationsMOdell" gespeichert. "Jeder Konflikt ist mit rund dreißig Variablen beschrieben", so Prof. Pfetsch, "zum Beispiel Konfliktparteien, Ort und Zeitraum, aber auch die Frage nach den Konfliktgütern, also worum es den Beteiligten ging, und welche Instrumente zur Konfliktlösung eingesetzt wurden." Auf der Grundlage von KOSIMO veröffentlichen die Konfliktforscher jedes Jahr ein "Konflikt-Barometer", das die Bilanz des globalen Konfliktgeschehens wiedergibt. Das Interesse daran ist groß. Nicht nur Journalisten und Wissenschaftler greifen regelmäßig auf die Erkenntnisse zurück, auch Politiker zählen zu KOSIMOs "Kunden" - neben dem Auswärtigen Amt und der Bonner Hardthöhe holten sich die Verteidigungsministerien Österreichs und der Schweiz Informationen aus der Heidelberger Datenbank.

Strategien: Demokratie und Internationalisierung

Die Ergebnisse der Analyse sind mitunter verblüffend. So macht die Zahl der Konflikte zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion während des Kalten Krieges einen verschwindend geringen Anteil am Gesamtbestand aus. Klare Tendenzen liefern die Daten ebenfalls. Zum Beispiel, daß die Anzahl der konfliktvermeidenden Faktoren erheblich höher ist als die der Faktoren, die Auseinandersetzungen schüren. Oder daß die Globalisierung der Wirtschaft eher friedensfördernd wirkt, weil sie den internationalen Austausch stärkt - trotz der steigenden Gefahren von sozialen Spannungen und ethnischen Konflikten. Aber welche Strategien sind am erfolgreichsten, wenn es darum geht, kriegerische Konflikte zu verhindern?

"Langfristig gesehen ist die Demokratisierung das wirksamste Instrument", sagt Frank Pfetsch, und fügt lapidar hinzu: "Demokratien haben seit 1945 keinen Krieg gegeneinander geführt." Kurzfristig gesehen verspricht zumindest die Einbindung in kollektive Sicherheitssysteme wie die OSZE oder die NATO Erfolg: "Sie markiert auch den Übergang von nationaler Machtpolitik hin zu einer Internationalisierung der Sicherheit." Die internationalen Organisationen haben sogenannte "Frühwarnsysteme" entwickelt, mit denen Krisen schon im Anfangsstadium entschärft werden können. In Mazedonien zum Beispiel verhandelten Vermittler der OSZE rechtzeitig mit beiden Konfliktparteien und konnten so eine Eskalation verhindern.

Risiko und Wahrnehmung

Mit dem Begriff Sicherheit untrennbar verbunden ist das Risiko: "Wer das Risiko mindert, erhöht die Sicherheit", so der Politikprofessor. Aber auch wenn den Beteiligten das Risiko zu hoch ist, steigt die Sicherheit: Die militärische Abschreckung der beiden Atommächte konnte so zum Grundgesetz des Kalten Krieges werden. Sie verschlang Unmengen an Ressourcen, wurde aber überwiegend als kriegsverhindernd angesehen. Als eine eher kostengünstige Strategie zur Risikoverminderung hat sich hingegen die "Luftballon"-Strategie erwiesen, die der ehemalige Bundeskanzler und Heidelberger Alumnus Helmut Kohl meisterhaft beherrschte: "Er ließ ein neues Regierungsvorhaben zunächst von einem Mitarbeiter lancieren", berichtet Frank Pfetsch, "und wartete dann, ob die Reaktion der Öffentlichkeit positiv oder negativ ausfiel." Gefährlich wird es im politischen Bereich dann, wenn das Streben nach Sicherheit von einer durch Bedrohungsängste gespeisten Wahrnehmung überlagert wird. "Wenn ein Staat sich bedroht fühlt und aufrüstet, erzeugt er bei den Nachbarn ebenfalls Angst und setzt eine Nachrüstung in Gang." Die Folge: ein Sicherheitsdilemma, das darin besteht, daß die Rüstungsspirale sich immer weiter nach oben schraubt. Auch wenn solche Szenarien heutzutage eher die Ausnahme sind, zeigen sie, wie stark die eigene Wahrnehmung das Gefühl der Sicherheit beeinflussen kann.

Sicher zum Selbst

Um die eigene Wahrnehmung geht es auch in einem Projekt in der Psychotherapie-Ambulanz des Psychologischen Instituts. "Wir untersuchen, wie sich die Angst vor Sozialkontakten und das Ausmaß der Selbstsicherheit von Patienten auf deren psychische Erkrankung auswirken", referiert Privatdozent Dr. Thomas Fydrich, der das Projekt am Lehrstuhl von Prof. Reiner Bastine betreut. Die These der Untersuchung mit dem Titel "Selbstsicherheit und soziale Angst bei psychischen Störungen": Wer unter psychischen Störungen leidet, verspürt Defizite und Ängste im Sozialverhalten. Zusätzliche verhaltenstherapeutische Maßnahmen zur Förderung der Selbstsicherheit können den Therapieerfolg positiv beeinflussen.

Das Projekt startete vor drei Jahren als Kooperation mit der Psychosomatischen Klinik der Universität. Es war zu Anfang von einer Unsicherheit ganz eigener Natur geprägt: Denn hier trafen zwei völlig unterschiedliche klinische Konzepte aufeinander Psychoanalyse und Verhaltenstherapie. "Anfangs war das Verhältnis sehr konfliktgeladen", erinnert sich Thomas Fydrich. "Doch die Erfolge zeigen, daß die Kooperation richtig war." Nach zwei Jahren stationärer Erprobung ist die Evaluation nun am Psychologischen Institut angesiedelt.

In dreißig Therapiestunden innerhalb von zwei Monaten können die Patienten zunächst besprechen und analysieren, warum und in welchen Situationen die Ängste immer wieder auftreten. Der nächste Schritt: der Versuch, die Ängste abzubauen. "Oft löst sich die Angst dann, wenn man versucht, etwas Neues zu wagen", berichtet Dr. Fydrich.

Mit verschiedenen Techniken versuchen die Psychotherapeuten hier zu helfen -vom Rollenspiel, auch mit Videoaufzeichnungen, bis hin zu kognitiven Methoden. In den diagnostischen Verfahren zeigt sich die naturwissenschaftliche Orientierung der Heidelberger Psychologen: "Wir haben beispielsweise versucht, das Sicherheitsgefühl der Patienten durch experimentielle Variation zu verändern", sagt Thomas Fydrich, der bezeichnenderweise einen Dr. rer. nat. trägt.

Die Ergebnisse fallen durchweg positiv aus: "Die Angst vor negativer Bewertung durch andere sank durch die Verhaltenstherapie erheblich ab", stellt der Psychologe zufrieden fest. "Aber auch bei der Hauptsymptomatik konnten wir deutlich Verbesserungen nachweisen, zum Beispiel bei Depressionen."

Auf der sicheren Seite

Detonationen und Depressionen will der Chemiker Dr. Markus Hoffmann verhindern - als Experte für Gefahrstoffe in der Abteilung Sicherheitswesen in der Zentralen Universitätsverwaltung (siehe den Artikel im Kasten auf Seite 8). Zusammen mit drei Sicherheitsingenieuren und einem Biologen ist er Tag für Tag in Sachen Sicherheit auf Achse. "Mitarbeiter und Studierende sollten wissen, daß diese Abteilung existiert", plädiert der promovierte Chemiker und Heidelberger Alumnus. "Ich selbst habe erst als Doktorand davon gehört." Deshalb wirken Markus Hoffmann und seine Kollegen regelmäßig an Einweisungen für Erstsemester in Fächern mit, in denen mit Chemikalien hantiert wird. "Meine Aufgabe ist es, den Umgang mit Gefahrstoffen sicher zu gestalten - je früher dies der Fall ist, desto besser für die Anwender." Sein Kollege Michael Heber ergänzt: "Wir wollen die Risiken von vornherein minimieren. Deshalb sind wir bereits in die Planung von Universitätsgebäuden eingebunden."

Die Abteilung Sicherheitswesen versteht sich als Dienstleister für den Arbeitsschutz aller Universitätsangehörigen. Dazu zählen Informationsgespräche ebenso wie beispielsweise die Messung mit dem Geigerzähler, wenn ein Verdacht auf Radioaktivität vorliegt. Darüber hinaus entwickeln die Sicherheits-Experten sogar technische Innovationen, die die Verletzungsgefahr senken und zugleich die Arbeit erleichtern. Ein Beispiel: Bei chemischen Experimenten muß der Ausführende hinter explosionssicheren Scheiben stehen, die das Hantieren mit den Chemikalien erschweren. Markus Hoffmann ersetzte die Scheiben durch Lamellenvorhänge aus Kunststoff. "Sie bieten einerseits die volle Sicherheit", erläutert der Chemiker, "andererseits stören sie nicht , beim Arbeiten." Die Vorhänge wurden zusammen mit der Schlosserei der Chemischen Institute und einer Heidelberger Laborbaufirma entwickelt und hergestellt. Dank ihrer hohen Kompetenz genießt die Abteilung Sicherheitswesen mittlerweile großes Vertrauen und stößt auf starke Resonanz. Das belegt nicht zuletzt ihre Homepage "Auf der sicheren Seite": Sie ist eine der am häufigsten besuchten Web-Sites der Ruperto Carola - gleich nach den Seiten des Akademischen Auslandsamts ...

Auch die innere Struktur der Universität ist im Wandel. "Durch die dezentrale Ressourcenverantwortung sollen die Wissenschaftler mehr Eigenverantwortung beim Umgang mit den Mitteln bekommen", merkt Forschungsdezernentin Ulrike Albrecht an, "zum Beispiel bei der Zuordnung von Personal und Hilfskräften." Sie ist überzeugt davon, "daß an der Universität ein Umdenken stattfinden wird."

Peter Saueressig

 


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Heidelberg, den 18. Juli 2003