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   ALUMNI REVUE - DEZEMBER 2005
       

    
    
 

Titel


Der Zelle auf der Spur

Lebenswissenschaften in der Stadt des lebendigen Geistes

Wissenschaft kann unüberhörbar sein. Eine halbe Schulklasse hat sich um die „Licht- und Ton-Orgel“ versammelt, und immer, wenn ein Kind mit Händen oder Füßen in einen der farbigen Lichtstrahlen greift, erklingt ein Ton. Das macht hörbar Spaß: Jedes Kind will möglichst alle Farben „spielen“. Das Ergebnis klingt zwar nicht schön, ist aber beeindruckend laut, und irgendwann fragt ein Mädchen in den Lärm: „Wie funktioniert denn das eigentlich?“ Petra Mohr, die die interaktive Ausstellung im „ExploHeidelberg“ leitet, zeigt den Kindern den Sensor, der die Unterbrechung des Lichtes registriert, wenn eine Hand in den Strahl gehalten wird, und dann den Ton auslöst. Neues Ausprobieren, Krach. Ein paar Augenblicke später sind die Kinder schon bei dem nächsten Exponat, fassen an, experimentieren, es wird viel gelacht.

Nicht zufällig ist „ExploHeidelberg“ hier im Technologiepark am Rande des Neuenheimer Feldes beheimatet. Auf dem Gelände hat die Stadt Heidelberg in enger Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) Räumlichkeiten für Unternehmen aus dem Bereich der „Life-Sciences“, der Bio- und Lebenswissenschaften, geschaffen. Die ersten Bauten waren 1985 fertiggestellt, die vorläufig letzten Gebäude wurden im Sommer 2003 eingeweiht. Das weitläufige Gelände – etwa 50?000 Quadratmeter Bürofläche stehen zur Verfügung – geht nahtlos in den Universitätscampus des Neuenheimer Feldes über. Die räumliche Nähe spiegelt sich auch in den gemeinsamen Kontakten wider: ExploHeidelberg arbeitet im Bereich Jugend und Wissenschaft mit der Universität eng zusammen. Beide Partner sind dabei, ein Netzwerk aufzubauen. So war die Universität beispielsweise im November gemeinsam mit der Explo mit einem Stand auf der EU-Messe „Communication Research“ zu Jugend und Wissenschaft in Brüssel vertreten. Einen Sponsor für Aktivitäten wie diese fand die Universität Heidelberg jüngst in der BASF – zusätzlich zur Unterstützung der Kinderuni durch SAP.

Biowissenschaften spielen für Heidelberg eine immer wichtigere Rolle. In direkter Nachbarschaft der verschiedenen Unternehmen aus dem Bereich der angewandten Life-Sciences konzentrieren sich renommierte internationale Forschungseinrichtungen wie das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), das European Molecular Biology Laboratory (EMBL), das Max-Planck-Institut, EML Research, ein privates Forschungsinstitut, das von der Klaus-Tschira-Stiftung unterstützt wird, und das Zentrum für Molekulare Biologie Heidelberg (ZMBH). Spätestens seit den Berufungen von Koryphäen wie Bunsen, Helmholtz und Kirchhoff im 19. Jahrhundert wird die Ruperto Carola mit naturwissenschaftlicher Forschung auf höchstem Niveau verbunden. Der Heidelberger Chemiker Max von Bodenstein führte 1894 die mathematische Beschreibung chemischer Reaktionen durch Differentialgleichungen ein – eine Grundlage für das Konzept der Modellierung komplexer Prozesse. Das besondere Engagement im Bereich der Biowissenschaften soll in den nächsten Jahren die Spitzenposition der Universität im europäischen Vergleich ausbauen.

Nanoforschung, Genomprojekt, Bio­technologie: Schlagwörter wie diese erzeugen bei vielen Menschen Unsicherheit und Ängste. Für andere bedeuten sie eine Chance im Kampf gegen Hunger und Krankheiten – teilweise verbunden mit hohen Erwartungen. Eine Vorstellung der Inhalte und Forschungsprojekte der Lebens- und Biowissenschaften haben dagegen nur wenige. Neben Bio- und Gentechnologie, worunter „Life-Sciences“ im engeren Sinne zu verstehen sind, gehören auch anwendungsorientierte Forschungen einer ganzen Reihe weiterer Fächer zu dem Spektrum der neuen Fachrichtung: Biochemie und -informatik, Ernährungswissenschaften, Humanmedizin, Pharmazie, Umweltmanagement und Umwelttechnik sowie Lebensmitteltechnologie.

Einfach selbst versuchen

Die Überschneidung der verschiedenen Fachgebiete zeigt sich auch bei dem Angebot von ExploHeidelberg: Neben der Ausstellung bietet die Einrichtung noch ein Lern- und ein Medienlabor. Die Exponate der Ausstellung lassen ihre Besucher Grundphänomene vor allem der Physik und der menschlichen Wahrnehmung erleben, im Lernlabor stehen Untersuchungen zur Molekularbiologie und Gentechnik im Vordergrund. Das Medienlabor bietet die Möglichkeit, am Bildschirm das Erfahrene zu vertiefen oder Experimente virtuell fortzuführen. Jedes Exponat bis ins Letzte zu verstehen ist nicht das Ziel: „Wir wollen neugierig machen und Ängste bei der Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften nehmen“, meint Petra Mohr. Zwar stehen an den meisten Exponaten auch Erklärungen von ein bis zwei Sätzen Länge. „Aber viel wichtiger, als dass wir den Besuchern die richtigen Antworten liefern, ist, dass sie sich selbst Fragen stellen – und das passiert beim Ausprobieren.“

Die Lust am Experiment ist auch eine Etage tiefer das Leitmotiv. Dr. Thomas Wendt leitet hier ein Lernlabor, dass mit modernsten Geräten ausgestattet ist. Besonders spannend fänden die Schulklassen von Stufe acht bis zur Oberstufe beispielsweise das Gerät zur Polymerase-Kettenreaktion (PCR), das auch bei Vaterschaftstests oder in der Forensik zum Einsatz kommt. So bekommen die Schüler einen Eindruck von dem Umgang mit Eiweißmolekülen und Bakterienstämmen. Solche Experimente sind sonst selbst in Stützpunktschulen für Biologie nicht möglich: Entweder, weil die notwendige Ausrüstung fehlt, oder aus sicherheitstechnischen Gründen.

Die Stadt, die durch Übernahme der Miete und mit Mitteln ihrer Stiftung Jugend und Wissenschaft Heidelberg die „ExploHeidelberg“ finanziert, und das DKFZ, das Geld der Helmholtz-Gemeinschaft in das Life-Science Lab investiert, möchten mit dem Projekt frühzeitig den wissenschaftlichen Nachwuchs für den Bereich Biowissenschaften fördern. Junge Fachkräfte werden, meint Dr. Wendt, spätestens in ein paar Jahren knapp sein, beispielsweise in der Physik und Chemie gäbe es zu wenige Studienanfänger.

Vorteil Heidelberg

Das Miteinander von Universität, bedeutenden Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen macht den Standortvorteil Heidelbergs aus: Die Konzentration moderner Forschungseinrichtungen in nächster Nähe war schon bei der Planung des Technologieparks ein wichtiges Argument für Heidelberg. Im Jahr 2006 wird die Universität ein weiteres Zentrum eröffnen: Das Bioquant, ebenfalls im Neuenheimer Feld gelegen. „Bioquant“ ist nicht nur die Bezeichnung für das neue Gebäude, das seit Mitte 2004 für etwa 26,8 Millionen Euro entsteht. Das interdisziplinäre Netzwerk, dass sich hinter dem Namen verbirgt, besteht zum Teil bereits: Forschungsgruppen wie BIOMS (siehe nebenstehenden Text), die voraussichtlich nach der Fertigstellung des Gebäudes ins Bioquant ziehen werden, sind bereits jetzt tätig. Im Bioquant-Gebäude wird ein Forschungsnetz entstehen, dass sich aus mehreren Fachdisziplinen zusammensetzt: experimentell arbeitenden Gruppen der Biologie und der Medizin sowie Forschern aus den Bereichen der Biophysik, der Biochemie und des Wissenschaftlichen Rechnens. Auf fast 5?000 Quadratmetern Nutzfläche, gelegen zwischen Instituten der Biowissenschaften, der Chemie, der Physik, der Mathematik und der Medizin, werden die Wissenschaftler nun Tür an Tür zusammenarbeiten.

„Bioquant wird ein enormes Potential haben, neue Lösungsansätze zu entdecken“, meint Jürgen Wolfrum, Professor für Physikalische Chemie und Gründungsdirektor der neuen Einrichtung. Gemeinsam mit dem Virologen Hans-Georg Kräusslich, dem Mathematiker Willi Jäger und dem Zellbiologen Klaus Unsicker – wie Wolfrum Heidelberger Ordinarien – erarbeitete er das wissenschaftliche Konzept von Bioquant. Die Möglichkeiten, die sich für die Forschung durch das in Europa einzigartige Zentrum ergeben werden, begeistern Prof. Wolfrum. Wenn es um die Vorteile geht, die durch interdisziplinäre Forschung hervorgerufen werden können, kann der Physiker in seinem Spezialgebiet, der Erforschung von Verbrennungsprozessen, auf langjährige Erfahrung zurückblicken. „Man kann einen Motor bauen, indem man das Prinzip von ‚trial and error’ anwendet – der ist dann aber vermutlich laut, groß, verbraucht viel Brennstoff und erzeugt viele Abgase. Wenn man aber einen Motor erfinden möchte, der möglichst wenig Kraftstoff verbraucht und so gut wie keine Schadstoffe bei der Verbrennung erzeugt, dann genügt es nicht mehr, einfach herumzuprobieren, sondern man ist gezwungen, zu verstehen, was im Einzelnen im Motor passiert.“ Hier kommt die interdisziplinäre Verbindung von physikalischen, chemischen und mathematischen Ansätzen zum Zuge: Der komplizierte Prozess, die Wechselwirkung von chemischen Reaktionen mit Transportprozessen und Strömungen wird – in der Tradition Max von Bodensteins – in ein mathematisches Modell übertragen. Im Fall von Prof. Wolfrums Fachbereich sind greifbare Resultate in Sicht: „Wenn Sie demnächst ein neues Auto kaufen, dann werden darin Motoren sein, die mit den in Heidelberg entwickelten Methoden optimiert wurden“, kündigt der Physiker an.

Den Sprung wagen

Interdisziplinäre und anwendungsorientierte Forschung soll auch der Grundgedanke von Bioquant sein. „Wenn wir jetzt den Sprung in die Biologie und in die Medizin machen, den Sprung vom Verbrennungsmotor zu den molekularen Maschinen, dann haben wir eine sehr ähnliche Situation – auch wenn die Natur unseren technischen Produkten haushoch überlegen ist“, meint Jürgen Wolfrum. So, wie er beispielsweise bei seinen Forschungen chemische und physikalische Abläufe in Zahlen ausdrücke, also die Vorgänge „quantifiziere“, sollen in dem Zentrum Modellierungen im Bereich der Biowissenschaften durchgeführt werden: eben durch die „quantitative Analyse molekularer und zellulärer Biosysteme“, wie die Auflösung der Wortschöpfung „Bioquant“ lautet.

Allerdings stößt man bei der Arbeit mit Modellierungen von komplexen Abläufen an eine Grenze: Beispielsweise mache es die Menge an Daten unmöglich, solche Prozesse in voller Perfektion in Zahlen darzustellen. „Deswegen vereinfachen wir unsere Modelle entsprechend, müssen die Ergebnisse aber immer wieder validieren“, erklärt Prof. Wolfrum. Daher ist das zweite Standbein von Bioquant neben der Anwendung mathematischer Methoden das Experiment. Durch den Einsatz beispielsweise hochmoderner Laser-Mikroskope werden die Zahlenmodelle überprüft und gegebenenfalls korrigiert. „Dafür brauchen wir im Bioquant die beste berührungsfreie optische Diagnosetechnik“, so Prof. Wolfrum. Das Zentrum für Mikroskopie und Imaging-Techniken in den Biowissenschaften, das die benötige Technik bietet, wurde bereits eröffnet. In enger Zusammenarbeit mit der Firma Nikon hat die Universität unter dem Namen „Nikon Imaging Center“ (NIC) für Forscher der verschiedensten naturwissenschaftlichen Fachrichtungen einen Zugang zu modernsten Instrumenten geschaffen: Die neuesten Mikroskope mit Spitzenoptik, Hochleistungs-Digitalkameras und Spezialsoftware sowie wissenschaftliches Personal ermöglichen beispielsweise mikroskopische Experimente an Zell- und Gewebesystemen. Als sogenannte „Corporate Contributors“ sind auch weitere Firmen beteiligt, die Schlüsseltechnologien zu hochfeinen Aufnahmen zellulärer Prozesse zur Verfügung stellen: Perkin Elmer Life Sciences, Laboratory Imaging, Hamamatsu Deutschland sowie Hewlett Packard. Zur Zeit ist das NIC noch im benachbarten Institut für Zoologie untergebracht, nach der Eröffnung von Bioquant wird es dorthin umziehen.

Das Nebeneinander von mathematischen Modellierungen und ihrer Überprüfung auf experimentellem Wege erklärt die Notwendigkeit eines eigenen Gebäudes. Prof. Wolfrum erlebte dieses Nebeneinander schon bei seiner Forschung: „Um den Vorteil daraus ziehen zu können, müssen die Vertreter der verschiedenen beteiligten Disziplinen eines Projekts verstehen, was die anderen machen. Sonst behauptet im Zweifel der Mathematiker, dass seine Berechnungen richtig und das Experiment falsch ist, der Molekularbiologe sieht es seinerseits genau anders herum.“ Wenn man auch räumlich eng zusammenarbeite, müsse man sich aber auf eine gemeinsame Sprache verständigen. Durch die Erweiterung der eigenen wissenschaftlichen Terminologie würden dann bald neue Ansätze denkbar. Ähnlich wie die Besucher der Explo Heidelberg sollen die Forscher im Bioquant durch das Miteinander von Experiment und Modell sowie durch die Interdisziplinarität lernen, neue Fragen zu stellen. „Erst das gemeinschaftliche Arbeiten in dem neuen Bioquant-Gebäude wird die Verzahnung der verschiedenen Wissenschaften bringen, die die Biowissenschaften brauchen“, meint Prof. Wolfrum.

Anspruch auf Exzellenz

Für die Universität fügt sich das Engagement im Bereich der Biowissenschaften nahtlos in ihren Anspruch ein, eine der besten Universitäten Deutschlands zu sein. Im Rahmen der laufenden „Exzellenzinitiative“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bewirbt sich die Ruperto Carola um die Förderung als Spitzenuniversität. Bund und Länder wollen mit dem Programm den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland stärken. Die Förderung erstreckt sich dabei auf drei Bereiche: Zukunftskonzepte von universitärer Spitzenforschung, Graduiertenschulen und sogenannte „Exzellenzcluster“, also herausragende Zentren bestimmter Forschungsdisziplinen. Jeder der Cluster – insgesamt sind 30 zur Förderung ausgeschrieben – soll durchschnittlich mit 6,5 Millionen Euro unterstützt werden. Das Bioquant ist in der Bewerbung der Universität Heidelberg durch den dort angesiedelten Exzellenzcluster „Zelluläre Netzwerke: von der Analyse molekularer Mechanismen zum quantitativen Verständnis komplexer Funktionen“ unter Prof. Kräusslich vertreten. Auch eine der Graduiertenschulen, mit der sich die Universität bewirbt, gehört zu den Projekten, die im Bioquant zu Hause sein werden.

So soll das ausgeprägte Engagement der Universität auf dem Feld der Biowissenschaften dazu beitragen, ihre Position unter den Spitzenuniversitäten auszubauen und die hohe Qualität von Forschung und Bildung im internationalen Wettbewerb zu sichern.

Gabriel A. Neumann

 


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Heidelberg, den 2. Januar 2006